Aktuelles zum KartellrechtArtikel

Praxisbericht über die Haftung von Geschäftsleitern für Kartellschäden

Regressierbarkeit von Kartellbußen und Möglichkeit einer unmittelbaren Außenhaftung von Geschäftsleitern

Ob Geschäftsleiter ihrer Gesellschaft auf Ersatz der Schäden, die sie in Gestalt einer Kartellbuße erlitten hat, haften, oder ob sie gar von Kartellgeschädigten unmittelbar auf Ersatz in Anspruch genommen werden können, ist eine wirtschaftlich sehr relevante, rechtlich aber ungeklärte Frage: In Ermangelung gesetzlicher Regelungen und richtungsweisender Judikate bleibt nur ein Rekurs auf Prinzipien und Wertungen. Auf der Grundlage aktueller Verfahren werden diese konkretisiert bzw. ausdifferenziert, abgewogen sowie eine Prognose getroffen, ob und ggf. wie Gerichte eine derartige Haftung künftig ausgestalten könnten.

 

I. Problemstellung

II. Gesellschaftlicher Regress

1. Erstattungsfähigkeit der Kartellbuße

2. Erstattungsfähigkeit von Leistungen der Klägerin in Erfüllung privater Schadensersatzansprüche möglicherweise Geschädigter

III. Direktklagen Kartellgeschädigter

IV. Fazit

 

I. Problemstellung

Das Schienenkartell, „aus Sicht der Kartellrechtsdurchsetzung ein Kartell wie aus dem Lehrbuch“,1 hat viele Fragen aufgeworfen, etwa solche des Kartellschadensersatzes (manifestiert in zahlreichen höchstrichterlichen Entscheidungen),2 der Compliance und der D&O-Versicherung. Doch sind nur wenige beantwortet worden, und dies gilt in besonderer Weise für das Thema der Organhaftung, das – trotz der unvermindert großen Zahl an literarischen Publikationen gerade dazu – „etwas aus dem Blick geraten zu sein“3 scheint, obwohl es „weiter spannend“ ist. Dafür spricht einerseits, dass nun auch das vielbeachtete Verfahren eines ehemaligen Bereichsvorstandes eines großen westdeutschen Konzerns vergleichsbedingt keinen höchstrichterlichen Abschluss, der die dringend nötige Rechtssicherheit schaffen könnte, finden wird.4 In diesem Verfahren wurde erstmals umfassend erörtert, welche prinzipiellen Erwägungen für oder gegen eine Managerhaftung ins Feld geführt werden können. Andererseits hat das sog. Villeroy & Boch-Verfahren – auch verjährungsbedingt – nicht die erhoffte Klarheit gebracht;5 immerhin lässt das Gericht obiter seine kritische Haltung gegenüber einer Organhaftung erkennen. Anlass und Ziel des Beitrags ist es deshalb, die aus dem erstgenannten Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zu reflektieren und zu vertiefen, um auf diese Weise den erreichten Forschungsstand zu ermitteln und kritisch zu würdigen.

 

II. Gesellschaftlicher Regress

Nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG haften Geschäftsleiter – damit sind im Folgenden verkürzend GmbH-Gesch.ftsführer und Vorstände einer AG gleichermaßen bezeichnet – ihrer Körperschaft auf Ersatz der Schäden, die sie ihr durch eine schuldhafte Pflichtverletzung zugefügt haben. Sie haben jene so zu stellen, wie sie ohne diese stünde („Differenzhypothese“).6 Das dem zugrundeliegende Kompensationsprinzip zielt auf einen Schutz der Vermögensinteressen der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter. Infolge ihrer Legalitätspflicht können sich die Geschäftsleiter nicht darauf berufen, dass ihr Verstoß im wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft und zu ihrem Nutzen erfolgt sei. Bei einer Differenzhypothese begründen Kartellbußen also einen Schaden der Gesellschaft. Dabei kann man jedoch nicht stehen bleiben; gleich, ob man die „Einheit der Rechtsordnung“ heraufbeschwört oder den Schadensbegriff normativiert.7 Denn die Geschäftsleiterhaftung tangiert nicht nur allgemeine zivil- und gesellschaftsrechtliche, sondern auch kartell- und ordnungswidrigkeiten- bzw. bußgeldrechtliche Wertungen. Es handelt sich um eine „rechtsgebietsübergreifende Systemfrage“,8 nicht um eine Frage, deren Lösung von einer isolierten, vorgreiflichen kartellrechtlichen Prüfung allein abhinge, wie es § 87 Satz 2 GWB intendiert („abhängt“).9 Vielmehr kann die Frage der Haftung des Organs für die Verbandsgeldbuße nur unter Berücksichtigung verschiedener und ggf. gegenläufiger Zwecke, Wertungen und Prinzipien dieser anderen Rechtsgebiete beantwortet werden.10 Es liegt insofern eine...

1 Ost, in: FS für Schroeder, 2018, S. 589.

2 Siehe zuletzt etwa BGH, Urt. v. 10.02.2021, KZR 63/18, WuW 2021, 355 = NZKart 2021, 350 – Schiene VI.

3 So Lotze, NZKart 2021, 261.

4 Vgl. hierzu Albert, D&O-Versicherer zahlen für Verstöße bei Thyssenkrupp – ein bisschen, fmos.link/17380 (zuletzt abgerufen am 06.06.2022).

5 LG Saarbrücken, Urt. v. 15.09.2020, 7 HK O 6/16, WuW 2021, 62 = NZKart 2021, 64 = CCZ 2021, 50 m. Anm. Eufinger = GWR 2021, 123 m. Anm. Haack = EWiR 2021, 283 m. Anm. Leclerc.

6 Nicht: „wie sie vor dieser stand“ (so aber Leclerc, NZKart 2021, 220, 221).

8 So wörtlich nun zu Recht auch Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 462; vgl. Heyers/Lotze, NZKart 2018, 29 ff.

9 Statt vieler Kessler, in: MüKoWettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 87 Rn. 21; Dicks, in: LMRKML, 4. Aufl. 2020, § 87 Rn. 19; Ackermann, NZKart 2018, 1; Anderer Ansatz bei BAG, Entsch. v. 29.06.2017, 8 AZR 189/15, BAGE 159, 316 = NJW 2018, 184.

10 LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2015, 16 Sa 459/14, VersR 2015, 629; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 462 f.; Binder, Grenzen der Vorstandshaftung – eine Untersuchung der vorhandenen Beschränkungen der Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber der Aktiengesellschaft und der Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Schaffung von Haftungserleichterungen de lege lata und de lege ferenda, 2016, S. 277; Dreher, in: FS für Konzen, 2006, S. 85, 104 ff.; Gaul, AG 2015, 109,

Quelle: WUW1409189