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Kartellrecht 4.0

Algorithmen als Kartellsünder?

Das Thema „Digitalisierung“ steht weiterhin auf der Tagesordnung: Unternehmen greifen für fast alle Bereiche ihrer Tätigkeit auf die Unterstützung durch IT-Systeme zurück. Und so kann es nicht verwundern, dass auch für die Festlegung von Preisen IT-Systeme, sog. „Pricing Engines“, eingesetzt werden. Das kann kartellrechtlich riskant sein.
 

Bekannt ist die Verwendung von Pricing Engines z. B. bei Fluglinien. Dort kommen IT-Systeme zur dynamischen Festlegung der Ticketpreise zum Einsatz. Wie weit der Einfluss dieser Systeme reicht, ließ sich anlässlich der Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin beobachten. Hierdurch ausgelöst erhöhten sich auf vielen Strecken sowohl der Marktanteil als auch die Preise des verbliebenen Konkurrenten Lufthansa sprunghaft, teilweise um 25 % - 30 %. Daraufhin ermittelte das Bundeskartellamt im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch von  Marktmacht durch Lufthansa. Die stellte die Preiserhöhungen selbst nicht in Abrede, erklärte dazu aber, sie beruhten nicht auf menschlichen Eingriffen, sondern stellten sich als bloße Reaktion des Algorithmus auf eine geänderte Nachfrage dar. „Schuld“ war demnach – so die Sicht der Airline – nicht der Mensch, sondern die Maschine. Pricing Engines nutzen Algorithmen, also von Computern ausgeführte Regelwerke, die bei einem bestimmten „Input“ einen bestimmten „Output“ erzeugen. Dieser „Output“ ist bei Pricing Engines der Preis. Die Algorithmen können statisch also unveränderlich sein. Algorithmen können aber auch dynamisch, insbesondere selbstlernend sein. Der Algorithmus passt sich dann mehr oder weniger automatisch an seine Umwelt“ an; er lernt aus seiner „Erfahrung“ dazu und kann dadurch immer besser werden. Ein selbstlernender Algorithmus kann sogar in der Lage sein, ohne menschliches Zutun zu begreifen, welcher Preis für das Unternehmen in einer bestimmten Situation den höchsten Gewinn verspricht, und sich so selbst modifizieren. Wenn es um die Festlegung von Preisen geht, kommt schnell das Kartellrecht ins Spiel: Unternehmen dürfen ihre Preise untereinander nicht absprechen. Solche Preisabsprachen können das Ergebnis ausdrücklicher Vereinbarungen sein. Verboten ist die einheitliche Preissetzung aber auch, wenn sie das Ergebnis einer sog. abgestimmten Verhaltensweise ist. Dabei erfolgt die Koordinierung des Verhaltens der Unternehmen durch ein bewusstes Zusammenwirken, das ein gewisses Maß an Kommunikation zwischen den Unternehmen voraussetzt. Die nötige Kommunikation kann dabei auch „über die Bande“, also durch Einschaltung eines Dritten erfolgen (sog. „Hub-and-Spoke-Konstellation“). Kartellrechtlich verboten ist auch bereits der Austausch sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern, z. B. über geplante Preisänderungen. Zulässig ist demgegenüber das sog. gleichförmige Verhalten, bei dem Unternehmen lediglich auf das Verhalten anderer Unternehmen reagieren und sich dadurch parallel verhalten. Bekannt ist Letzteres z. B. von der regional weitgehend einheitlichen Preisentwicklung an Tankstellen: Diese ist nach den Erkenntnissen der Kartellbehörden nicht Ergebnis von Absprachen, sondern lediglich Folge der intensiven wechselseitigen Beobachtung der Wettbewerberpreise und damit kartellrechtlich zulässig. Wie sind nun Pricing Engines in diesem kartellrechtlichen Umfeld zu beurteilen? Damit befassen sich in jüngster Zeit vermehrt die Kartellbehörden. So hat das Bundeskartellamt zusammen mit der französischen Kartellbehörde kürzlich eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht, die allerdings mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Klar ist, dass sonst zulässige Verhaltensweisen nicht durch die bloße Nutzung von IT-Systeme unzulässig werden: Ist das IT-System nur ein Hilfsmittel zur Beobachtung des Wettbewerbs und für eine etwaige eigene Reaktion auf die Preissetzung des Wettbewerbs, ist sein Einsatz kartellrechtlich grundsätzlich unproblematisch. Umgekehrt ist die Nutzung von Algorithmen zur Umsetzung von kartellrechtswidrigen Absprachen oder Verhaltensweisen ebenso unzulässig wie die Verhaltensweise selbst. Das kann z. B. der Fall sein, wenn Algorithmen eingesetzt werden, um zu überwachen, ob unzulässige Preisbindungen des Herstellers für den Verkauf von Produkten im Internet eingehalten werden. Ist also die Grenze zur kartellrechtlich unzulässigen Preisabsprache überschritten, wenn die Nutzung von Pricing Engines selbst zu einer Angleichung der Preise auf einem erhöhten Niveau führt, wenn es also zu einer „algorithmischen Verhaltensangleichung“ zwischen Wettbewerbern kommt? Ist ein solcher Sachverhalt überhaupt noch als „Absprache“ oder „Abstimmung“ im Sinne des Kartellrechts zu bewerten? Oder setzt das Eingreifen kartellrechtlicher Verbote ein menschliches Verhalten voraus? Eine solche Verhaltensangleichung kann insbesondere dann vorliegen, wenn Wettbewerber dieselbe Pricing Engine einsetzen. In diesem Fall kan es im Ergebnis zu einem faktischen Austausch sensibler Informationen (z. B. über zukünftig geplante Preisänderungen) kommen. Unzulässig ist dabei sicherlich die unmittelbare Weitergabe solcher Informationen zwischen den Nutzern derselben Pricing Engine. Aber auch die nur mittelbare Weitergabe solcher Informationen zwischen Wettbewerbern dürfte kartellrechtlich unzulässig sein, wenn diese von einem Wettbewerber zur Berechnung von Preisempfehlunge genutzt werden. Aber was gilt, wenn sich die Angleichung von Preisen daraus ergibt, dass Wettbewerber schlicht denselben Algorithmus mit den gleichen Preisempfehlungen einsetzen? Liegen auch in diesen Fällen unzulässige Kartellabsprachen vor, obwohl eine (menschliche) Kommunikation zwischen den Wettbewerbern gar nicht stattfindet? Ausschließen können wird man das jedenfalls dann nicht, wenn die entsprechende Mechanismen den beteiligten Unternehmen bekannt oder wenn sie zumindest vorhersehbar sind. Spannend wird es sowohl technisch als auch rechtlich, wenn Wettbewerber verschiedene Pricing Engines einsetzen. Insoweit wird insbesondere diskutiert, ob selbstlernende Algorithmen eine Fähigkeit zur Kommunikation untereinander haben oder entwickeln können, die sie für unzulässige Kartellabsprachen „nutzen“ können. Denkbar wäre das z. B., wenn Wettbewerber Pricing Engines einsetzen, die in der Lage sind, untereinander zu kommunizieren, indem sie durch bestimmte kodierte Signale anzeigen, dass sie eine bestimmte Preissetzung beabsichtigen. Wenn andere Algorithmen auf solche Signale reagieren könnten und den Preis entsprechend anpassen würden, wäre nach den für die „analoge“ Welt geltenden Maßstäben die Grenze zwischen zulässigem Parallelverhalten und unzulässigem abgestimmten Verhalten überschritten. Ob das auch bei einer Abstimmung auf „algorithmischer Ebene“ gelten kann, ist offen. Möglich ist auch, dass Algorithmen so intelligent werden, dass sie zukünftiges Verhalten von Wettbewerbern bzw. deren Pricing Engines so präzise vorhersehen können, dass eine direkte Kommunikation zur Preisangleichung gar nicht erforderlich ist. Auch dann stellt sich die Frage, ob sich die Unternehmen solche „digitalen Kartellabsprachen“ zurechnen lassen müssen, auch wenn sie von diesen gar keine Kenntnis haben, da sie den Lernprozess des Algorithmus und die „algorithmische Kommunikation“ selbst nicht nachvollziehen (können). Viel spricht dafür, dass sich die Unternehmen nicht hinter den Pricing Engines verstecken können, dass sie vielmehr für dadurch vermittelte Abstimmungsprozesse einstehen müssen. Die kartellrechtliche Diskussion erinnert an die Überlegungen, die zum sog. autonomen Fahren und die Verantwortlichkeit beim Auftreten von Rechtsverstößen oder Unfällen angestellt werden. Wer ist „schuld“ – der Mensch oder die Maschine? Unternehmen sind vor diesem Hintergrund gut beraten, die weitere technische und rechtliche Entwicklung zu beobachten und beim Einsatz von Pricing Engines zu prüfen, ob damit kartellrechtliche Risiken verbunden sind – andernfalls müssen sie sich gegebenenfalls „Kartellverstöße“ von Algorithmen zurechnen lassen und für deren häufig teure Konsequenzen einstehen.